Deutscher Bundestag - 7. Wahlperiode - Drucksache 7/992

 

 

Denkschrift zu dem Übereinkommen

 

 

I.

 

Die Gerichte haben im Zuge der immer enger werdenden internationalen Verflechtung in steigendem Maße ausländisches Recht anzuwenden. Für sie ist es jedoch meist mit großen Schwierigkeiten und oft auch mit erheblichen Kosten verbunden, sich über ein fremdes Recht zuverlässig zu unterrichten.

 

Bei der Ermittlung des fremden Rechts sind die Gerichte nicht an die Grundsätze gebunden, die für den Tatsachenbeweis gelten. Im Wege des Freibeweises können sie alle Erkenntnisquellen benutzen. Üblicherweise wird dabei das Schrifttum herangezogen. Es werden aber auch Auskünfte von Behörden, insbesondere von solchen, die mit internationalem Recht befaßt sind, oder Gutachten von wissenschaftlichen Instituten angefordert (vgl. Stein - Jonas - Schumann - Leipold, ZPO, 19. Auflage, § 293 Bem. IV 1). Es ist auch zulässig, eine Rechtsauskunft in einem anderen Land einzuholen. Ein solches Ersuchen, das eine besondere Art von Rechtshilfeersuchen darstellt, kommt jedoch bisher nur in seltenen Fällen in Betracht (vgl. § 48 der Rechtshilfeordnung für Zivilsachen).

 

Vereinzelt wurde in bilateralen Verträgen eine Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Rechtsauskunft begründet, um diese Ersuchen über die Grenzen eines Landes hinweg zu erleichtern. So sahen Artikel 9 des deutsch-österreichischen Vertrages vom 21. Juni 1923 (Reichsgesetzbl. 1924 II S. 55), Artikel 8 des deutsch-polnischen Vertrages vorn 5. März 1924 (Reichsgesetzbl. 1925 II S. 139) und Artikel 7 des deutsch-bulgarischen Vertrages vom 22. Dezember 1926 (Reichsgesetzbl. 1927 II S. 416) die Verpflichtung jedes Staates vor, Auskunft über das in seinem Staat geltende Recht zu erteilen. Diese Verträge sind nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder wirksam geworden. Es entspricht jedoch der Vertragspraxis anderer Staaten auch heute noch, in bilateralen Verträgen eine völkerrechtliche Pflicht zur Auskunftserteilung vorzusehen.

 

Soweit die Gerichte die Hilfe ausländischer Stellen für die Durchführung des Verfahrens benötigen, insbesondere bei der Zustellung gerichtlicher Schriftstücke sowie der Beweisaufnahme und der Vornahme anderer gerichtlicher Handlungen im Ausland, steht seit langem das bewährte Haager Übereinkommen vom 1. März 1954 über den Zivilprozeß zur Verfügung (Bundesgesetzbl. 1958 II S. 577; vgl. zu den älteren Übereinkommen die Denkschrift BT-Drucksache II/350). Für die Ermittlung ausländischen Rechts gibt es jedoch noch kein zwischen mehreren Staaten geschlossenes Übereinkommen, das eine Verpflichtung der Staaten zur Auskunftserteilung begründet. Deshalb haben die Mitglieder des Europarats das Übereinkommen vom 7. Juni 1968 geschlossen, mit dem ein Verfahren zur Verfügung gestellt wird, Rechtsauskünfte in dem Lande einzuholen, in dem das anzuwendende Recht gilt. Das Interesse der Mitgliedstaaten des Europarats an diesem Übereinkommen besteht aber nicht nur darin, Auskünfte über ausländisches Recht, das die eigenen Gerichte anwenden sollen, zu erhalten.

 

Jeder Staat hat vielmehr auch ein Interesse daran, daß die ausländischen Gerichte objektiv, unparteiisch und schnell über das eigene Recht unterrichtet werden, damit in dem Verfahren vor dem ausländischen Gericht das Recht des Staates, der die Auskunft erteilt, richtig angewendet werden kann.

 

Das Übereinkommen soll in die innerstaatliche Regelung des Verfahrensrechts und des materiellen Rechts nicht eingreifen. Die Hauptaufgabe des Übereinkommens ist es, einen „Mechanismus" zu schaffen, der zu vollständigen und richtigen Auskünften führt, die für das Gericht auch praktisch verwertbar sind.

 

II.

 

Mit dem vorliegenden Übereinkommen wird eine neuartige völkerrechtliche Verpflichtung zwischen den Vertragsstaaten eingeführt. Das Übereinkommen beschränkt sich auf eine Mindestlösung.

 

1. Das geplante Übereinkommen legt nicht fest, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen ein Gericht eine Auskunft über ausländisches Recht einholen muß. Diese Frage bleibt weiterhin dem nationalen Prozeßrecht überlassen. Es ist auch nicht vorgesehen, daß der im Übereinkommen eröffnete Weg beschritten werden muß, wenn ein Gericht sich die ihm fehlende Kenntnis ausländischen Rechts verschaffen will. Durch die Fassung der Präambel wird klargestellt, daß das Übereinkommen andere Methoden, mit deren Hilfe sich die Gerichte über ausländisches Recht unterrichten können, unberührt läßt.

 

2. Um die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nicht zu weit auszudehnen, wird die vertragliche Auskunft nur für Rechtssätze des Zivil- und Handelsrechts, des Verfahrensrechts auf diesen Gebieten und des Rechts der Gerichtsverfassung vorgesehen. Das Übereinkommen ist damit ähnlich wie das Haager Übereinkommen vom 1. März 1954 über den Zivilprozeß auf das Gebiet der Zivil- und Handelssachen beschränkt. Mit dem Begriff des Zivil- und Handelsrechts wird auch der gewerbliche Rechtsschutz, das Urheber- und das Patentrecht erfaßt. Auch das Arbeitsrecht, soweit es als Zivilrecht anzusehen ist, fällt unter dieses Rechtsgebiet. Die ausdrückliche Erwähnung des Verfahrensrechts auf diesen Gebieten und des Gerichtsverfassungsrechts (Artikel 1 Abs. 1 des Übereinkommens) dient der Klarstellung. Eine gewisse Erweiterung ergibt sich aus Artikel 4 Abs. 3. Danach kann im Einzelfall auch um Auskunft über andere als die in Artikel 1 Abs. 1 aufgeführten Gebiete ersucht werden.

 

Durch Zusatzvereinbarung kann die vertragliche Regelung allerdings in den Beziehungen der Staaten, die solche Abreden treffen, auf andere Rechtsgebiete erstreckt werden.

 

3. Ein Auskunftsersuchen darf nur für ein anhängiges Verfahren erbeten werden. Es muß von einem Gericht ausgehen. Damit ist ausgeschlossen, daß sich etwa eine Partei zur Vorbereitung eines Prozesses um eine Auskunft bemüht.

 

Das Verfahren, für welches die Auskunft angefordert wird, dürfte in der Regel ein Zivilprozeß sein; dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um ein Verfahren der streitigen oder der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, daß für eine Strafsache oder für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren eine Auskunft im Sinne des Übereinkommens eingeholt wird. Auf die Art des Gerichtszweiges, dem das ersuchende Gericht angehört, kommt es nicht. an.

 

4. In den Mitgliedstaaten des Europarats wird ausländisches Recht teilweise als Tatsache, zum Teil aber auch als Rechtssatz behandelt. Um jeden Eingriff in das nationale Prozeßrecht zu vermeiden, wird in dem Übereinkommen die Frage nicht geregelt, oh ausländisches Recht, das auf dem in dem Übereinkommen vorgesehenen Weg ermittelt werden soll, wie eine Tatsache zu beweisen ist und ob auf die Verletzung ausländischen Rechts ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof gestützt werden kann. Auch hier verbleibt es bei den nationalen Regelungen in den einzelnen Ländern.

 

5. Die Auskunft. soll nicht den Charakter einer gerichtlichen Entscheidung oder eines sonstigen gerichtlichen Aktes haben, sondern dem Bereich der Verwaltung zuzurechnen sein. Dem entspricht es, daß die Auskunft das ersuchende Gericht nicht bindet. Eine auf dem Wege des Übereinkommens übermittelte Auskunft über ausländisches Recht unterscheidet sich rechtlich nicht von einer Auskunft, die auf anderem Wege eingeholt wurde.

 

6. Die Auskunft soll nicht ein Gutachten sein, in dem die Lösung einer bestimmten Rechtsfrage oder eines Falles vorgeschlagen werden soll. Vielmehr kann nur um die Mitteilung bestimmter im ersuchten Staate geltender Rechtssätze (erforderlichenfalls mit Gesetzesmaterialien, Rechtsprechung und Kommentarstellen), die in einem Einzelfall anzuwenden sind und die das ersuchende Gericht in seiner Anfrage möglichst genau zu bezeichnen hat, ersucht werden. Der Antwort können jedoch erläuternde Bemerkungen beigefügt werden, wenn dies zum Verständnis erforderlich ist.

 

7. Um jeden Eingriff in das innerstaatliche Recht zu vermeiden, wurde die Frage, ob und in welcher Weise für eine Auskunft nach diesem Übereinkommen gehaftet wird, die unvollständig, falsch oder irreführend ist, nicht geregelt. Die Haftung für eine unrichtige Auskunft bestimmt sich nach dein innerstaatlichen Recht. Obwohl das Haftungsrecht der einzelnen Mitgliedstaaten stark voneinander abweicht, enthält das Übereinkommen keine Konfliktsregel und keine Bestimmung über die Gegenseitigkeit bei der Staatshaftung. Es ist jedem Mitgliedstaat jedoch gestattet, seine Haftung oder die Haftung seiner Beamten unter bestimmten Voraussetzungen auszuschließen (vgl. Nr. 5 des Erläuternden Berichts - Anlage zu dieser Denkschrift).

 

III.

 

Die Einzelheiten der Ausführung des Übereinkommens werden weitgehend dem innerstaatlichen Recht überlassen. Das Übereinkommen legt allerdings einige organisatorische Maßnahmen fest, welche die Mitgliedstaaten zu treffen haben.

 

Jeder Mitgliedstaat (auch ein Bundesstaat; vgl. Artikel 16) muß eine einzige zentrale Stelle haben, welche die Ersuchen aus den anderen Mitgliedstaaten entgegenzunehmen hat. Außerdem hat diese Stelle dafür zu sorgen, daß die Ersuchen entsprechend den Bestimmungen des Übereinkommens erledigt werden. Die Empfangsstelle muß eine amtliche Stelle sein, die irgendwie in den staatlichen Behördenaufbau des Mitgliedstaats einbezogen ist. Es soll ausgeschlossen sein, daß ein Mitgliedstaat einer privaten oder einer „außerhalb seines Verwaltungsbereichs" liegenden Einrichtung die Aufgaben der Empfangsstelle überläßt. Die Empfangsstelle kann jedoch Ersuchen in geeigneten Fällen oder aus Gründen der Verwaltungsorganisation auch an eine private Stelle oder eine geeignete rechtskundige Person zur Beantwortung weiterleiten. In der Bundesrepublik wird insbesondere die Beantwortung durch Rechtsanwälte, Professoren und Richter in Betracht kommen.

 

Die Einrichtung - einer oder mehrerer - Übermittlungsstellen, welche ausgehende Ersuchen an die Empfangsstellen der anderen Vertragsstaaten weiterleiten, ist fakultativ.

 

IV.

 

Der Sachverständigenausschuß des Europäischen Ausschusses für rechtliche Zusammenarbeit, der das Übereinkommen entworfen hat, hat einen „Erläuternden Bericht zu dem Europäischen Übereinkommen vom 7. Juni 1968 betreffend Auskünfte über ausländisches Recht" ausgearbeitet.

 

In dem Bericht werden die Grundsätze des Übereinkommens sowie die Überlegungen dargelegt, auf denen die einzelnen Vorschriften beruhen. Der Bericht zu dem Übereinkommen ist dieser Denkschrift in deutscher Übersetzung angeschlossen. Auf ihn darf zur Erläuterung des Übereinkommens im einzelnen Bezug genommen werden.

 

V.

 

Das Europäische Übereinkommen ist inzwischen für zwölf Staaten in Kraft getreten (Dänemark, Frankreich, Island, Italien, Liechtenstein, Malta, Norwegen, Österreich, Schweden Schweiz, Vereinigtes Königreich, Zypern).

 

VI.

 

Auf deutscher Seite bedarf es noch eines Ausführungsgesetzes zu dem Übereinkommen, in dem die innerstaatliche Ausführung festgelegt wird.


 

Anlage zur Denkschrift

 

Erläuternder Bericht

 

 

(Übersetzung)

 

 

Einleitung

 

1. In der heutigen Zeit des täglich wachsenden Personen- und Güterverkehrs über die Grenzen der europäischen Länder hinweg bringt es die Entwicklung des internationalen Austausches sowie der internationalen wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen mit sich, daß Rechtssysteme ineinander übergreifen und ausländisches Recht in Betracht gezogen werden muß. Gesetzeskonflikte führen häufig dazu, daß ein Gericht eine ausländische Rechtsnorm, vor allem auf dem Gebiet des Vertrags- und Familienrechts, der Rechtsstellung und der Rechtsfähigkeit von Personen, anzuwenden hat.

 

Aus diesem Grund wurde die Frage der „Auskünfte über ausländisches Recht" von dem ad hoc-Ausschuß für rechtliche Zusammenarbeit, der ein erweitertes Rechtsprogramm für den Europarat auszuarbeiten hatte, als vordringlich angesehen und als Punkt 7 in das Rechtsprogramm aufgenommen [siehe Anhang zur Entschließung (63) 29 des Ministerkomitees].

 

2. Diese Frage wurde sodann der III. Konferenz der europäischen Justizminister in Dublin (26. bis 28. Mai 1964) vorgelegt, wo sie anhand eines Berichts der französischen Delegation und eines ergänzenden Berichts der deutschen Delegation erörtert wurde. Die Justizminister empfahlen in ihrer Entschließung Nr. 2 eine gründliche Prüfung des Problems durch den Europäischen Ausschuß für rechtliche Zusammenarbeit (CCJ) oder eines seiner nachgeordneten Gremien sowie die Ausarbeitung eines diesbezüglichen mehrseitigen Übereinkommens zu gegebener Zeit.

 

Die Entschließung Nr. 2 wurde dem CCJ zugeleitet; dieser beschloß auf seiner ersten Sitzung, dem Ministerkomitee die Bildung eines Sachverständigenausschusses zu empfehlen.

 

Das Ministerkomitee billigte diesen Vorschlag auf seiner 136. Sitzung.

 

Der Sachverständigenausschuß hatte gemäß dem vom Ministerkomitee gebilligten Vorschlag des CCJ den Auftrag,

 

„das Problem der Auskünfte über ausländisches Recht im Hinblick auf die Ausarbeitung des Entwurfs eines mehrseitigen Übereinkommens über diesen Gegenstand eingehend zu untersuchen und dabei besonders zu berücksichtigen, daß die Gerichte der Mitgliedstaaten in der Lage sein müssen, schnell genaue Auskünfte über ausländisches Recht zu erhalten."

 

3. Der Sachverständigenausschuß begann seine Arbeiten mit einer allgemeinen Erörterung der Grundsätze, auf denen das Übereinkommen beruhen sollte.

 

4. Er prüfte zunächst alle besonderen Aspekte des Problems der Auskünfte über ausländisches Recht einschließlich des Punktes, ob Vorschriften des ausländischen Rechts von der lex fori als Rechts- oder Tatfragen zu betrachten sind, und beschloß nach dieser Erörterung, seine Arbeiten auf das Problem der Auskünfte über ausländisches Recht strikt zu beschränken, ohne jedoch späteren Entwicklungen vorzugreifen, die sich aus der Anwendung des Übereinkommens ergeben könnten.

 

5. Das Übereinkommen enthält keinen Artikel über die Haftung im Falle einer unvollständigen, falschen oder irreführenden Antwort, weil diese Frage nach allgemeiner Auffassung in das innerstaatliche Recht eines jeden Landes fällt.

 

Somit hindert dieses Übereinkommen einen Staat nicht daran, das Haftungsproblem in seinem innerstaatlichen Recht zu regeln. Ein Staat könnte z. B. beschließen, seine Haftung oder die Haftung seiner Beamten unter bestimmten Voraussetzungen auszuschließen.

 

Kommentar zu den Artikeln des Übereinkommens

 

Artikel 1

 

6. Dieser Artikel legt die Verpflichtungen der Vertragsparteien und den Anwendungsbereich des Übereinkommens fest.

 

7. Durch den Ausdruck „Gebiet" sollen Auslegungsschwierigkeiten vermieden werden, die sich aus der Verwendung des Ausdrucks „Recht" ergeben könnten, weil der Ausdruck „Gebiet" eine umfassendere Bedeutung hat; danach können sich die Gerichte ungeachtet ihrer Zuständigkeit einerseits Auskünfte über Fragen auf dem Gebiet des Zivil- und Handelsrechts beschaffen und andererseits in Verbindung mit Artikel 4 Abs. 3 um Auskünfte über Vorschriften aus anderen Rechtsgebieten ersuchen, wenn sie mit einer Frage des Zivil- und Handelsrechts in Zusammenhang stehen. Die Art des Gerichts oder des anhängigen Verfahrens bestimmt somit nicht den Anwendungsbereich des Übereinkommens.

 

8. Der Ausdruck „Zivil- und Handelsrecht" deckt auch das Arbeitsrecht insoweit, als die Arbeitsregelung unter die Vorschriften des Zivilrechts fällt. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so kann eine Auskunft über das Arbeitsrecht nur auf Grund des Artikels 4 Abs. 3 beschafft werden.

 

9. Nach Absatz 1 kann auch um Auskunft über eine früher, aber jetzt nicht mehr geltende Rechtsvorschrift ersucht werden, weil dieser Absatz nicht bestimmt, daß es sich um ein bei Stellung des Ersuchens geltendes Recht handeln muß.

 

10. Der in Absatz 2 enthaltene Ausdruck „vereinbaren" wurde benutzt, um die Form einer gegebenenfalls zwischen den beteiligten Parteien zu schließenden Übereinkunft nicht vorweg festzulegen.

 

11. Absatz 2 schließt die Möglichkeit nicht aus, zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen des Europarats eine zusätzliche Übereinkunft zu dem Zweck auszuarbeiten, das Übereinkommen auf andere als die in Absatz 1 erwähnten Rechtsgebiete zu erstrecken. In einem solchen Fall verhindert das Übereinkommen nicht, daß gegebenenfalls eine andere Art des Austausches von Auskünften vorgesehen wird.

 

Artikel 2

 

12. Dieser Artikel befaßt sich im wesentlichen mit den für die Anwendung des Übereinkommens zu errichtenden Stellen.

 

Vor allem auf Grund der Tatsache, daß die Rechtspflege in einigen Staaten dezentralisiert ist, konnte nicht an die Schaffung eines zentralisierten Systems gedacht werden, demzufolge in jedem Staat nur eine einzige Stelle bestimmt würde, die gleichzeitig die Auskunftsersuchen aus dem Ausland entgegenzunehmen und die Auskunftsersuchen der Gerichte ihres eigenen Landes zu übermitteln hätte. Es mußte ein flexibleres System geschaffen werden, das es jedem Staat gestattet, von sich aus die Vorkehrungen zu treffen, die er zur Durchführung des Übereinkommens für notwendig hält. Jeder Staat ist jedoch verpflichtet, eine einzige Stelle zu errichten oder zu bestimmen, die die Auskunftsersuchen aus dem Ausland entgegennimmt. Diese Stelle hat auch das Weitere zu diesen Ersuchen zu veranlassen.

 

13. Dagegen wurde die Möglichkeit vorgesehen, eine oder mehrere Stellen zu errichten, welche die von den eigenen Gerichten ausgehenden Ersuchen in das Ausland zu übermitteln haben. Es bestand indessen Einverständnis darüber, daß es die Durchführung des Übereinkommens wesentlich erleichtern würde, wenn in jedem Vertragsstaat eine Übermittlungsstelle bestände. Jeder Staat kann unter folgenden Systemen wählen:

 

a) Es werden eine oder mehrere Übermittlungsstellen errichtet oder bestimmt;

b) die Aufgabe der Übermittlungsstelle wird der Empfangsstelle übertragen;

c) den Gerichten, von denen die Ersuchen ausgehen, wird gestattet, sie unmittelbar in das Ausland zu übermitteln.

 

14. Bezüglich des Absatzes 3 bestand Einverständnis darüber, daß die Vertragsparteien die erste Mitteilung spätestens bei Hinterlegung ihrer Ratifikations-, Annahme- oder Beitrittsurkunde zu machen haben. Jede spätere Änderung der Bezeichnung oder Anschrift der Empfangsstelle muß dem Generalsekretär des Europarats ebenfalls mitgeteilt werden.

 

Artikel 3

 

15. Dieser Artikel bezeichnet die zur Stellung von Auskunftsersuchen berechtigten Behörden.

 

Die Möglichkeit, ein Auskunftsersuchen außerhalb eines Gerichtsverfahrens zu stellen, wurde ausgeschlossen.

 

Zwei Bedingungen müssen erfüllt sein: Das Ersuchen muß von einem Gericht ausgehen und muß für ein bereits anhängiges Verfahren gestellt werden; es kann sich hierbei sowohl um ein Verfahren der streitigen als auch der freiwilligen Gerichtsbarkeit in einer Zivil- und Handelssache handeln.

 

16. Der Ausdruck „auch wenn es nicht vom Gericht selbst abgefaßt worden ist" bezieht sich u. a. auf Fälle, in denen das Ersuchen von den Parteien selbst oder von diesen nach den Weisungen des Gerichts abgefaßt wird; das Wort „ausgehen" bedeutet, daß das Ersuchen nicht unbedingt von dem Gericht abgefaßt zu sein braucht; es genügt, wenn es vom Gericht genehmigt worden ist. Ist das Ersuchen nicht vom Gericht abgefaßt worden, so findet Artikel 4 Abs. 4 Anwendung.

 

17. Die in Absatz 1 niedergelegte Bedingung, daß die Auskunftsersuchen von einem Gericht ausgehen müssen, besagt, daß zur Erledigung der Rechtssache nach Auffassung des Gerichts die Beschaffung der erbetenen Auskunft erforderlich ist. Die Tatsache, daß das Ersuchen vom Gericht abgefaßt oder von ihm genehmigt werden muß, bietet die Gewähr dafür, daß keine überflüssigen Ersuchen gestellt werden.

 

18. Der auch in anderen internationalen Übereinkünften enthaltene Ausdruck „Gericht" wurde in dem Übereinkommen nicht definiert; er ist daher nach dem Recht des ersuchenden Staates zu verstehen.

 

Um die Anwendung des Übereinkommens zu erleichtern, haben Staaten, die keine Übermittlungsstelle errichten oder bestimmen, nach Absatz 2 die Möglichkeit, den anderen Staaten anzuzeigen, welche ihrer Behörden als Gerichte im Sinne des Artikels 3 anzusehen sind. Eine solche Bestimmung ist auch in Artikel 24 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen enthalten.

 

19. Die Frage, ob die Staatsanwaltschaft (oder entsprechende Stellen, die das öffentliche Interesse vertreten) angesichts ihrer Aufgaben für die Zwecke dieses Übereinkommens als Gericht anzusehen ist, bleibt dem Ermessen des Vertragsstaats anheimgestellt, zu dem die Staatsanwaltschaft gehört.

 

20. Ein Schiedsgericht kann sich Auskünfte durch ein nationales Gericht beschaffen lassen, sofern dies nach seinem innerstaatlichen Recht zulässig ist.

 

21. Nach Absatz 3 können die Vertragsstaaten durch Vereinbarung die Anwendung des Übereinkommens erweitern, um einen umfassenderen Austausch von Auskünften zu erzielen. In eine solche Vereinbarung können die Vertragsparteien die Bestimmungen aufnehmen, die für die Anpassung des Übereinkommens notwendig sind.

 

Artikel 4

 

22. Dieser Artikel befaßt sich mit dem Inhalt von Auskunftsersuchen.

 

Seinem Wortlaut ist zu entnehmen, daß die Ersuchen so genau wie möglich abgefaßt sein müssen. Sie müssen sich auf den Sachverhalt stützen und nach Möglichkeit eine zu allgemeine Fragestellung vermeiden.

 

23. Absatz 3 ergänzt in gewisser Weise Artikel 1 Abs. 1. Er sieht vor, daß sich die Auskunftsersuchen auch auf Punkte betreffend andere Rechtsgebiete als die des Zivil- und Handelsrechts erstrecken können, sofern sie mit einer Frage des Zivil- oder Handelsrechts, auf die sich das Ersuchen in erster Linie beziehen muß, im Zusammenhang stehen.

 

24. Absatz 4 bezieht sich auf Fälle, in denen das Ersuchen nicht von einem Gericht abgefaßt ist (siehe Absatz 16 oben). Der Ausdruck „Entscheidung" ist nicht so auszulegen, als müsse in jedem Fall eine prozeßleitende Verfügung vorliegen; die Genehmigung des Ersuchens stellt ebenfalls eine „Entscheidung' dar. Jeder Staat bestimmt selbst die Form dieser Genehmigung.

 

Artikel 5

 

25. Dieser Artikel betrifft die Übermittlung des Auskunftsersuchens, die unmittelbar durch die Gerichte erfolgen kann, wenn keine Übermittlungsstelle in dem ersuchenden Staat errichtet oder bestimmt worden ist.

 

Artikel 6

 

26. Dieser Artikel legt das Verfahren fest, das die Empfangsstelle bei der Beantwortung zu befolgen hat.

 

27. Absatz 1 bezieht sich auf Fälle, in denen die Antwort im Rahmen der Verwaltungsorganisation des Staates abgefaßt wird. Das Wort „öffentlich" ist so zu verstehen, daß die Empfangsstelle eine private Stelle mit der Beantwortung beauftragen kann; diese Stelle wäre dann mit einer öffentlichen Aufgabe betraut.

 

28. Zweck der Worte „in geeigneten Fällen oder aus Gründen der Verwaltungsorganisation" ist es, jedem Staat zu gestatten, unter besonderer Berücksichtigung seiner inneren Organisation von den beiden in Artikel 6 bezeichneten Verfahren dasjenige zu wählen, das für den jeweiligen Fall am besten geeignet ist.

 

Das dem Staat zugestandene Recht, sich der in den Absätzen 1 und 2 vorgesehenen Verfahren nach Belieben zu bedienen, sollte allerdings nicht dazu benutzt werden, die Beantwortung systematisch einer privaten Stelle oder einer geeigneten rechtskundigen Person zu übertragen; dadurch würde nämlich in Anbetracht des Artikels 15 ein gewisses Ungleichgewicht bezüglich der sich aus der Anwendung des Übereinkommens ergebenden finanziellen Folgen entstehen.

 

29. In Absatz 3 sind die Maßnahmen bezeichnet, die die Empfangsstelle zu treffen hat, falls sie beschließt, die Beantwortung einer privaten Stelle oder einer geeigneten rechtskundigen Person zu übertragen. Absatz 3 braucht jedoch nicht angewendet zu werden, wenn der ersuchte Staat nicht die Absicht hat, die Erstattung der durch diese Verfahren entstehenden Kosten zu verlangen.

 

Artikel 7

 

30. Dieser Artikel betrifft den Inhalt der Antwort.  Aus diesem Artikel ist ersichtlich, daß die Antwort die Auskünfte enthalten muß, die das ersuchende Gericht für seine Entscheidung benötigt.

 

Der Antwort sind gegebenenfalls erläuternde Bemerkungen beizufügen; sie kann in Form eines Berichts über die Anwendung der einschlägigen Gesetzesbestimmungen im ersuchten Staat abgefaßt sein. Der Verfasser der Antwort ist jedoch nicht verpflichtet, einen solchen Bericht abzugeben, auch wenn das ersuchende Gericht dies wünscht.

 

Die Antwort muß jedoch nicht nur unparteiisch, sondern auch objektiv sein, d. h. sie darf keinen Vorschlag für die Erledigung des Falles enthalten, der Gegenstand des Ersuchens ist.

 

31. Der im zweiten Satz dieses Artikels enthaltene Ausdruck „je nach den Umständen des Falles" besagt, daß die mit der Beantwortung beauftragte Stelle oder Person je nach der Rechtslage ihres Landes und für die Zwecke einer korrekten Beantwortung ihrer Antwort

 

a) einschlägige Gesetze und Verordnungen,

b) einschlägige Gerichtsentscheidungen

c) oder einschlägige Gesetze und Verordnungen sowie einschlägige Gerichtsentscheidungen zugrunde legen kann.

 

Diese Gesetze, Verordnungen und Entscheidungen sind der Antwort gegebenenfalls im Wortlaut beizufügen.

 

32. Die mit der Beantwortung beauftragte Stelle oder Person kann, um die Antwort möglichst umfassend zu gestalten, auf Faktoren außerhalb des Zivil- und Handelsrechts hinweisen, die nach ihrer Auffassung das anwendbare Recht beeinflussen könnten und zur gehörigen Unterrichtung des ersuchenden Gerichts erforderlich sind, auch wenn diese Faktoren in dem Ersuchen nicht ausdrücklich erwähnt wurden.

 

33. Es wurde nicht für ratsam gehalten, in dem Übereinkommen eine besondere Form für die Antwort vorzuschreiben.

 

Artikel 8

 

34. Die in diesem Artikel enthaltene Vorschrift wurde in das Übereinkommen aufgenommen, um die Unabhängigkeit der Gerichte zu betonen.

 

Artikel 9

 

35. Dieser Artikel stellt den Grundsatz auf, demzufolge die Antwort auf dem gleichen Wege zu übermitteln ist wie das Ersuchen.

 

Artikel 10

 

36. Dieser Artikel legt die Verpflichtungen fest, die der Empfangsstelle bei der Beantwortung obliegen.

 

37. Absatz 2 behandelt insbesondere die Aufgabe der Empfangsstelle in Fällen, in denen die Antwort gemäß Artikel 6 Abs. 2 außerhalb der Verwaltungsorganisation des Staates abgefaßt wird. In einem solchen Fall ist die Empfangsstelle nicht verpflichtet, die Antwort inhaltlich zu überprüfen; demzufolge wäre in einem gegebenen Fall nicht der ersuchte Staat haftbar, sondern die Person oder Stelle, die die Antwort abgefaßt hat.

 

Artikel 11

 

38. Dieser Artikel enthält einige Ausnahmen von der sich aus Artikel 10 ergebenden Pflicht zur Beantwortung von Auskunftsersuchen.

 

Es wurde in den Fall, in dem die Interessen des ersuchten Staates durch die Rechtssache berührt werden, für besser gehalten, ihn von der Pflicht zur Beantwortung zu befreien, um zu vermeiden, daß die Unparteilichkeit seiner Antwort angezweifelt wird, oder er sich verpflichtet sieht, dem ausländischen Gericht eine Hilfe zuteil werden zu lassen, die seinen eigenen Interessen schaden könnte. Der Ausdruck „seine Interessen berührt werden" ist so allgemein gehalten, daß nicht allein die Tatsache, daß der ersuchte Staat Partei der Rechtssache ist, sondern auch die Tatsache, daß seine Interessen auf dem Spiel stehen oder von dem Ausgang der Rechtssache berührt werden, die Ablehnung eines Auskunftsersuchens rechtfertigen. Der Ausdruck „Interessen" bezieht sich nicht nur auf finanzielle Interessen, sondern z. B. auch auf wirtschaftliche oder politische Interessen.

 

39. Die Formulierung dieses Artikels leitet sich aus den Artikeln 4 und 11 des Haager Übereinkommens vom 1. März 1954 über den Zivilprozeß her.

 

40. Der ersuchte Staat ist z. B. dann nicht verpflichtet, ein Auskunftsersuchen zu beantworten, wenn das ersuchende Gericht seine Zustimmung zu den Kosten nicht gibt (siehe Artikel 6 Abs. 3) oder ergänzende Auskünfte ablehnt (siehe Artikel 13) usw.

 

Artikel 12

 

41. Dieser Artikel wurde aufgenommen, um das Verfahren des Austausches von Auskünften nach Möglichkeit zu beschleunigen.

 

Artikel 13

 

42. Nach diesem Artikel kann die mit der Beantwortung beauftragte Stelle oder Person ergänzende Angaben verlangen.

 

Es wurde davon abgesehen, in dem Übereinkommen eine Bestimmung für den gegenteiligen Fall vorzusehen, in dem der Empfänger der Antwort ergänzende Angaben benötigt. Es wurde davon ausgegangen, daß es sich in einem solchen Fall um ein neues Auskunftsersuchen handeln würde und es daher nicht notwendig wäre, dies in dem Übereinkommen zu regeln.

 

43. Absatz 2 betrifft das Verfahren bei der Übermittlung von Ersuchen um ergänzende Angaben. Nach dieser Vorschrift sind derartige Ersuchen von den in Artikel 6 Abs. 1 oder 2 bezeichneten Stellen oder Personen durch die Empfangsstelle an die Stelle zu übermitteln, von der das ursprüngliche Ersuchen ausging.

 

Artikel 14

 

44. Dieser Artikel betrifft die Sprache, in welcher Ersuchen und Antwort abzufassen sind.

 

45. Artikel 14 findet auch auf die in Artikel 13 erwähnten ergänzenden Angaben Anwendung. Somit muß die Antwort der ersuchenden Stelle auf das Ersuchen um ergänzende Angaben in die Sprache des ersuchten Staates übersetzt werden.

 

46. Nach Absatz 2 haben die Vertragsparteien die Möglichkeit, für den Austausch von Auskünften eine andere Sprache als die des ersuchenden oder des ersuchten Staates zu wählen. Die Parteien bestimmen selbst die Form ihrer diesbezüglichen Vereinbarung.

 

Artikel 15

 

47. Dieser Artikel betrifft die Kosten für die Erteilung von Auskünften.

 

Es wurde ein Unterschied gemacht zwischen

 

a) der Beantwortung nach Artikel 6 Abs. 1 und

b) der Beantwortung durch eine private Stelle oder rechtskundige Person (siehe Artikel 6 Abs. 2).

 

Für den unter a) aufgeführten Fall werden keine Auslagen erhoben; die unter b) anfallenden Kosten gehen zu Lasten des Staates, von dem das Ersuchen ausgeht. In diesem Fall würde es sich nämlich um die Gebühren der Stelle oder der rechtskundigen Person handeln, die die Antwort abgefaßt hat (siehe auch Absatz 29 oben).

 

48. Nach dem diesem Artikel zugrunde liegenden Prinzip ist der ersuchende Staat (und nicht die Empfangsstelle, die ausländische Übermittlungsstelle oder das ausländische Gericht, von dem das Ersuchen ausgeht) für die Zahlung der Kosten verantwortlich.

 

49. Die beiden folgenden Fragen sind in Artikel 15 nicht geregelt:

 

a) die Zahlungsweise, d. h. an wen (z. B. die Empfangsstelle, die rechtskundige Person usw.) die Gebühren zu zahlen sind;

b) das Kostenerstattungsverfahren in dem Staat, von dem das Ersuchen ausgeht.

 

Man hielt es nicht für notwendig, den unter a) erwähnten Fall ausdrücklich in dem Übereinkommen zu regeln; er sollte der Praxis überlassen bleiben. Das unter b) erwähnte Problem ist Sache der inneren Rechtsordnung eines jeden Staates.

 

Artikel 16

 

50. Dieser Artikel wurde in den Übereinkommensentwurf aufgenommen, um verfassungsrechtlichen Erwägungen in bestimmten Bundesstaaten Rechnung zu tragen.

 

51. Aus diesem Artikel geht u. a. hervor, daß die nach dieser Bestimmung getroffenen Maßnahmen auf verfassungsrechtlichen Gründen und nicht lediglich auf Zweckmäßigkeitsgründen beruhen müssen.

 

Artikel 17 bis 21

 

52. Die Schlußbestimmungen (Artikel 17 bis 21) entsprechen dem vom Ministerkomitee gebilligten Muster.