veröffentlicht im Reichsgesetzblatt 1930, Teil II, Nr. 18, Seite 758 ff.,
ausgegeben zu Berlin am 10. Mai 1930

 

Anlage zu Artikel 20 des Konsularvertrages
(Nachlaßabkommen)


§ 1

(1)
Stirbt ein Angehöriger eines Vertragsstaates im Gebiete des anderen Vertrags-
staates, so hat die zuständige Ortsbehörde dem zuständigen Konsul des Staates, dem der Verstorbene angehörte, unverzüglich von dem Tode Kenntnis zu geben und ihm mitzuteilen, was ihr über die Erben und deren Aufenthalt, den Wert und die Zu-
sammensetzung des Nachlasses sowie über das etwaige Vorhandensein einer Verfügung von Todes wegen bekannt ist. Erhält zuerst der Konsul (des Staates, dem der Verstorbene angehörte), von dem Todesfalle Kenntnis, so hat er seiner-
seits die Ortsbehörde (in gleicher Weise) zu benachrichtigen.

(2)
Gehört der Sterbeort zu keinem Konsulatsbezirk, so ist die Mitteilung an den dip-
lomatischen Vertreter des Staates, dem der Verstorbene angehörte, zu richten.

(3)
Die der Ortsbehörde und dem Konsul alsdann obliegenden Verrichtungen be-
stimmen sich hinsichtlich des beweglichen Nachlasses nach
§ 12.


§ 2

(1)
Für die Sicherung des Nachlasses hat in erster Linie die zuständige Ortsbehörde zu sorgen. Sie hat sich auf Maßnahmen zu beschränken, die erforderlich sind, um die Substanz des Nachlasses unversehrt zu erhalten, wie Siegelung und Aufnahme ei-
nes Nachlaßverzeichnisses. Auf Ersuchen des Konsuls hat sie in jedem Falle die von ihm gewünschten Sicherungsmaßregeln zu treffen.

(2)
Der Konsul kann gemeinsam mit der Ortsbehörde oder, soweit sie noch nicht ein-
gegriffen hat, allein gemäß den Vorschriften des von ihm vertretenen Staates ent-
weder persönlich oder durch einen von ihm ernannten, mit seiner Vollmacht ver-
sehenen Vertreter den beweglichen Nachlaß siegeln und ein Nachlaßverzeichnis aufnehmen, wobei er die Hilfe der Ortsbehörden in Anspruch nehmen darf.

(3)
Ortsbehörden und Konsul haben einander, sofern nicht besondere Umstände ent-
gegenstehen, Gelegenheit zur Mitwirkung bei den Sicherungsmaßnahmen zu ge-
ben. Die Behörde, die hierbei nicht hat mitwirken können, ist befugt, im Falle einer Siegelung den angelegten Siegeln nachträglich ihr Siegel beizufügen. Hat die an-
dere Behörde nicht mitwirken können, so ist ihr so bald als möglich beglaubigte Ab-
schrift des Nachlaßverzeichnisses und des Verhandlungsprotokolls zu übersenden.

(4)
Dieselben Bestimmungen gelten für die gemeinschaftlich vorzunehmende Aufhe-
bung der Sicherungsmaßregeln und insbesondere die Abnahme der Siegel. Je-
doch kann sowohl die Ortsbehörde wie der Konsul allein zur Abnahme schreiten, falls die andere Behörde ihre Einwilligung dazu erteilt oder auf eine mindestens
48 Stunden vorher an sie ergangene Einladung sich nicht rechtzeitig eingefunden hat.


§ 3

Die Ortsbehörde soll die in dem Lande gebräuchlichen oder durch dessen Gesetze vorgeschriebenen Bekanntmachungen über die Eröffnung des Nachlasses und den Aufruf der Erben oder Gläubiger erlassen und diese Bekanntmachungen dem Kon-
sul mitteilen; dieser kann auch seinerseits entsprechende Bekanntmachungen er-
lassen.


§ 4


Der Konsul kann die Nachlaßregelung übernehmen. In diesem Falle gelten die Be-
stimmungen der §§ 5 bis 10 dieses Abkommens.


§ 5

(1)
Der Konsul ist berechtigt, sich alle Nachlaßsachen, mit Einschluß der Papiere des Verstorbenen, die sich im Gewahrsam von Privatpersonen, Notaren, Banken, Ver-
sicherungsgesellschaften, öffentlichen Kassen und dergleichen oder der Ortsbe-
hörden befinden, unter denselben Voraussetzungen aushändigen zu lassen, und unter denselben Voraussetzungen zum Nachlaß gehörige Forderungen einzuziehen, unter denen der Verstorbene selbst dazu befugt gewesen wäre. Wenn der Nachlaß ganz oder zum Teil beschlagnahmt ist oder sich unter Zwangsverwaltung befindet, kann der Konsul davon erst Besitz nehmen, nachdem die Beschlagnahme oder Zwangsverwaltung aufgehoben ist.

(2)
Der Konsul ist ebenfalls berechtigt, die Herausgabe der von dem Verstorbenen er-
richteten Verfügungen von Todes wegen zu verlangen, und zwar auch dann, wenn sie von den Landesbehörden in amtliche Verwahrung genommen worden sind, die das Recht haben, die Verfügungen vor der Herausgabe zu eröffnen. Der Konsul hat eine beglaubigte Abschrift jeder in seinen Besitz gelangten und eröffneten Verfü-
gung der Ortsbehörde mitzuteilen.


§ 6

Der Konsul hat das Recht und die Pflicht, alle Maßnahmen zu treffen, die er zur Er-
haltung des Nachlasses als im Interesse der Erben liegend erachtet oder die zur Erfüllung öffentlichrechtlicher Verpflichtungen des Erblassers oder der Erben er-
forderlich sind. Insbesondere ist er gegenüber den zuständigen Behörden zur Er-
teilung von Auskunft über den Wert des Nachlasses verpflichtet. Er kann den Nach-
laß entweder persönlich verwalten oder durch einen von ihm gewählten und in sei-
nem Namen handelnden Vertreter, dessen Geschäftsführung er überwacht, verwal-
ten lassen. Der Konsul ist berechtigt, die Hilfe der Ortsbehörden in Anspruch zu nehmen.


§ 7

(1)
Der Konsul hat den Nachlaß, soweit er ihn in Besitz genommen hat, innerhalb des Landes seines Amtssitzes aufzubewahren.

(2)
Der Konsul ist befugt, selbständig im Wege der Versteigerung und gemäß den Ge-
setzen und Gebäuchen des Landes seines Amtssitzes die Bestandteile des Nach-
lasses, die dem Verderben ausgesetzt sind und deren Aufbewahrung schwierig und kostspielig sein würde, zu veräußern.

(3)
Er ist ferner berechtigt, die Kosten der letzten Krankheit und der Beerdigung des Verstorbenen, den Lohn von Hausbediensteten, Angestellten und Arbeitern, Miet-
zins und andere Kosten, deren Aufwendung zur Verwaltung des Nachlasses er-
forderlich ist, sowie im Notfalle den für die Familie des Verstorbenen erforderlichen Unterhalt, ferner Gerichtskosten, Konsulatsgebühren und Gebühren der Ortsbehör-
den sofort aus dem Bestande des Nachlasses zu entnehmen.


§ 8

Streitigkeiten infolge von Ansprüchen gegen den Nachlaß sind bei den zuständigen Behörden des Landes, in dem dieser sich befindet, anhängig zu machen und von diesen zu entscheiden.


§ 9

(1)
Die Zwangsvollstreckung in die Nachlaßgegenstände ist zulässig, auch wenn diese sich in der Verwahrung des Konsuls befinden. Dieser hat sie der zuständigen Be-
hörde auf Ersuchen herauszugeben.

(2)
Falls die zuständige Behörde ein Konkursverfahren über den im Lande befindlichen Nachlaß eröffnet, hat der Konsul auf Erfordern alle Nachlaßgegenstände, soweit sie zur Konkursmasse gehören, der Ortsbehörde oder dem Konkursverwalter auszulie-
fern. Der Konsul ist befugt, die Interessen seiner Staatsangehörigen in dem Ver-
fahren wahrzunehmen.


§ 10

Nach Ablauf von drei Monaten seit der letzten Bekanntmachung über die Eröffnung des Nachlasses oder, wenn eine solche Bekanntmachung nicht stattgefunden hat, nach Ablauf von hier Monaten seit dem Tode des Erblassers kann der Konsul die Nachlaßsachen an die Erben, die ihr Recht nachgewiesen haben, oder sofern der Nachweis nicht geführt werden konnte, an die zuständigen Behörden seines Landes herausgeben. Er darf aber die Herausgabe nicht vornehmen, bevor alle die ge-
schuldeten öffentlich-rechtlichen Abgaben des Erblassers und die staatlichen Ab-
gaben sowie die zugehörigen den Nachlaß belastenden Kosten und Rechnungen entrichtet oder sichergestellt sind, und bevor die bei ihm angemeldeten Forde-
rungen an den Nachlaß von Angehörigen oder Bewohnern des Staates, in dessen Gebiet sich der Nachlaß befindet, befriedigt oder ordnungsmäßig sichergestellt sind. Diese Verpflichtung des Konsuls gegenüber den angemeldeten Forderungen erlischt, wenn er nicht binnen weiteren sechs Monaten davon in Kenntnis gesetzt wird, daß die Forderungen anerkannt oder bei dem zuständigen Gericht eingeklagt worden sind.


§ 11

(1)
Falls der Konsul die Herausgabe nicht verlangt hat, ist die Ortsbehörde verpflichtet, die in ihrem Gewahrsam befindlichen Nachlaßgegenstände den Erben unter den-
selben Bedingungen herauszugeben, unter denen der Konsul nach § 10 dazu ver-
pflichtet ist.

(2)
Führen die Interessenten nicht binnen sechs Monaten seit dem Todestage des Erb-
lassers den Nachweis ihres Erbrechts, so hat die Ortsbehörde den Nachlaß unter Mitteilung der darauf bezüglichen Akten an den Konsul abzuliefern, vorbehaltlich der in § 10 vorgesehenen Bedingungen. Der Konsul hat damit nach Maßgabe des § 10 zu verfahren.


§ 12

(1)
In Ansehung des unbeweglichen Nachlasses sind ausschließlich die zuständigen Behörden des Staates, in dessen Gebiet sich dieser Nachlaß befindet, berechtigt und verpflichtet, alle Verrichtungen nach Maßgabe der Landesgesetze und in der-
selben Weise vorzunehmen wie bei Nachlässen von Angehörigen ihres eigenen Staates. Beglaubigte Abschrift des über den unbeweglichen Nachlaß aufgenomme-
nen Verzeichnisses ist so bald als möglich dem zuständigen Konsul zu übersenden.

(2)
Hat der Konsul eine Verfügung von Todes wegen in Besitz genommen, worin Be-
stimmungen über unbeweglichen Nachlaß enthalten sind, so hat er der Ortsbehörde auf ihr Ersuchen die Urschrift dieser Verfügung auszuhändigen.

(3)
Das Recht des Staates, in dem sich der Nachlaß befindet, entscheidet darüber, was zum beweglichen und zum unbeweglichen Nachlaß gehört.


§ 13

In allen Angelegenheiten, zu denen die Eröffnung, Verwaltung und Regelung der be-
weglichen und unbeweglichen Nachlässe von Angehörigen des einen Staates im Gebiet des anderen Staates Anlaß geben, soll der Konsul ermächtigt sein, die Er-
ben, die seinem Staate angehören und keinen Bevollmächtigten in dem anderen Staate bestellt haben, zu vertreten, ohne daß er gehalten ist, seine Vertretungsbe-
fugnis durch eine besondere Urkunde nachzuweisen. Die Vertretungsbefugnis des Konsuls fällt weg, wenn alle Berechtigten anwesend oder vertreten sind.


§ 14

(1)
Die erbrechtlichen Verhältnisse bestimmen sich in Ansehung des beweglichen Nachlasses nach den Gesetzen des Landes, dem der Erblasser zurzeit seines Todes angehörte.

(2)
Die erbrechtlichen Verhältnisse in Ansehung des unbeweglichen Nachlasses be-
stimmen sich nach den Gesetzen des Landes, in dem dieser Nachlaß liegt, und zwar in der gleichen Weise, wie wenn der Erblasser zurzeit seines Todes Angehöri-
ger dieses Landes gewesen wäre.


§ 15

Klagen, welche die Feststellung des Erbrechts, Erbschaftsansprüche, Ansprüche aus Vermächtnissen sowie Pflichtteilsansprüche zum Gegenstande haben, sind, soweit es sich um beweglichen Nachlaß handelt, bei den Gerichten des Staates an-
hängig zu machen, dem der Erblasser zurzeit seines Todes angehörte, soweit es sich um unbeweglichen Nachlaß handelt, bei den Gerichten des Staates, in dessen Gebiet sich der unbewegliche Nachlaß befindet. Ihre Entscheidungen sind von dem anderen Staate anzuerkennen.


§ 16

(1)
Verfügungen von Todes wegen sind, was ihre Form anlangt, gültig, wenn die Ge-
setze des Landes beachtet sind, wo die Verfügungen errichtet sind, oder die Ge-
setze des Staates, dem der Erblasser zur Zeit der Errichtung angehörte.

(2)
Das gleiche gilt für den Widerruf solcher Verfügungen von Todes wegen.


§ 17

Ein Zeugnis über ein erbrechtliches Verhältnis, insbesondere über das Recht des Erben oder eines Testamentsvollstreckers, das von der zuständigen Behörde des Staates, dem der Erblasser angehörte, nach dessen Gesetzen ausgestellt ist, ge-
nügt, soweit es sich um beweglichen Nachlaß handelt, zum Nachweis dieser Rechtsverhältnisse auch für das Gebiet des anderen Staates. Zum Beweise der Echtheit genügt die Beglaubigung durch einen Konsul oder einen diplomatischen Vertreter des Staates, dem der Erblasser angehörte.


§ 18

Die Bestimmungen der §§ 1 bis 17 finden entsprechende Anwendung auf beweg-
liches Vermögen, das sich im Gebiet des einen Teils befindet und zu dem Nachlaß eines außerhalb dieses Gebietes verstorbenen Angehörigen des anderen Teils gehört.


§ 19

(1)
Wenn eine Person, die zur Besatzung eines Schiffes eines der beiden Staaten gehört, im Gebiet des anderen Staates stirbt und nicht diesem angehört, so sollen ihre Heuerguthaben und ihre Habseligkeiten dem Konsul des zuständigen Staates übergeben werden.

(2)
Wenn ein Angehöriger des einen der beiden Staaten auf der Reise im Gebiet des anderen stirbt, ohne dort seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt gehabt zu haben, so sollen die von ihm mitgeführten Gegenstände dem Konsul seines Landes übergeben werden.

(3)
Der Konsul, dem die in Absatz 1 und 2 erwähnten Nachlaßsachen übergeben sind, wird damit nach den Vorschriften seines Landes verfahren, nachdem er die von dem Verstorbenen während des Aufenthaltes in dem Lande gemachten Schulden geregelt hat.