veröffentlicht im Bundesgesetzblatt Jahrgang 1987 Teil II Nr. 3, Seite 60 ff.,

ausgegeben zu Bonn am 28. Januar 1987

 

 

Zusatzprotokoll

zum Europäischen Übereinkommen

betreffend Auskünfte über ausländisches Recht

 

Vom 15. März 1978

 

(Übersetzung)

 

Die Mitgliedstaaten des Europarats, die dieses Protokoll unterzeichnen -

 

gestützt auf die Bestimmungen des Europäischen Übereinkommens betreffend Auskünfte über ausländisches Recht, das am 7. Juni 1968 in London zur Unterzeichnung aufgelegt wurde (im folgenden als "Übereinkommen" bezeichnet);

 

in der Erwägung, daß es wünschenswert ist, das durch dieses Übereinkommen eingerichtete System zwischenstaatlicher Hilfe in einem allen Vertragsparteien des Übereinkommens offenstehenden mehrseitigen Rahmen auf das Gebiet des Strafrechts und des Strafverfahrensrechts zu erstrecken;

 

in der Erwägung, daß es zur Beseitigung wirtschaftlicher Hindernisse für Gerichtsverfahren und zur Erleichterung der Ausübung von Rechten durch wirtschaftlich schlechter gestellte Personen in den Mitgliedstaaten ebenfalls wünschenswert ist, das durch das Übereinkommen eingerichtete System auf das Gebiet der Prozeßkostenhilfe und der Rechtsberatung in Zivil- und Handelssachen zu erstrecken;

 

im Hinblick darauf, daß Artikel 1 Absatz 2 des Übereinkommens vorsieht, daß zwei oder mehr Vertragsparteien vereinbaren können, den Anwendungsbereich des Übereinkommens untereinander auf andere als die im Übereinkommen erwähnten Rechtsgebiete zu erstrecken;

 

im Hinblick darauf, daß Artikel 3 Absatz 3 des Übereinkommens vorsieht, daß zwei oder mehr Vertragsparteien vereinbaren können, die Anwendung des Übereinkommens untereinander auf Ersuchen zu erstrecken, die von anderen Behörden als Gerichten ausgehen -

 

haben folgendes vereinbart:

 

 

Kapitel I

 

Artikel 1

 

Die Vertragsparteien verpflichten sich, einander gemäß den Bestimmungen des Übereinkommens Auskünfte über Ihr Strafrecht, ihr Strafverfahrensrecht und ihre Gerichtsverfassung auf dem Gebiet des Strafrechts, einschließlich der Strafverfolgungsbehörden, sowie über das Recht der Vollstreckung und des Vollzugs von Strafen zu erteilen. Diese Verpflichtung gilt für alle Verfahren wegen Zuwiderhandlungen, deren Verfolgung zur Zeit des Auskunftsersuchens in die Zuständigkeit der Justizbehörden der ersuchenden Vertragspartei fällt.

 

 

Artikel 2

 

Ein Ersuchen um Auskunft über Fragen auf den in Artikel 1 erwähnten Rechtsgebieten

 

a) kann nicht nur von einem Gericht ausgehen, sondern auch von jeder Justizbehörde, die für die Strafverfolgung oder für die Vollstreckung und den Vollzug rechtskräftig verhängter Strafen zuständig ist, und

 

b) kann nicht nur für ein bereits anhängiges Verfahren gestellt werden, sondern auch, wenn die Einleitung eines Verfahrens in Aussicht genommen ist.

 

 

 

Kapitel II [1]

Artikel 3

 

Im Rahmen der in Artikel 1 Absatz 1 des Übereinkommens enthaltenen Verpflichtung vereinbaren die Vertragsparteien, daß Auskunftsersuchen

 

a) nicht nur von einem Gericht ausgehen können, sondern auch von jeder Behörde oder Person, die im Rahmen eines öffentlichen Systems der Prozeßkostenhilfe oder Rechtsberatung für wirtschaftlich schlechter gestellte Personen tätig wird, und

 

b) nicht nur für ein bereits anhängiges Verfahren gestellt werden können, sondern auch, wenn die Einleitung eines Verfahrens in Aussicht genommen ist.

 

 

Artikel 4

 

(1) Jede Vertragspartei, die nicht nach Artikel 2 Absatz 2 des Übereinkommens eine oder mehrere Übermittlungsstellen errichtet oder bestimmt hat, hat eine oder mehrere solche Stellen zur Übermittlung von Auskunftsersuchen nach Artikel 3 dieses Protokolls an die zuständige ausländische Empfangsstelle zu errichten oder zu bestimmen.

 

(2) Jede Vertragspartei teilt dem Generalsekretär des Europarats Bezeichnung und Anschrift der nach Absatz 1 errichteten oder bestimmten Übermittlungsstelle oder Übermittlungstellen mit.

 

 

Kapitel III

Artikel 5

 

(1) Jeder Staat kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung seiner Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde erklären, daß nur Kapitel I oder nur Kapitel II dieses Protokolls für ihn verbindlich ist.

 

(2) Jeder Staat, der eine solche Erklärung abgegeben hat, kann jederzeit danach durch Notifikation an den Generalsekretär des Europarats erklären, daß sowohl Kapitel I als auch Kapitel II für ihn verbindlich sind. Eine solche Notifikation wird am Tag ihres Eingangs wirksam.

 

(3) Jede Vertragspartei, für die sowohl Kapitel I als auch Kapitel II verbindlich sind, kann jederzeit durch Notifikation an den Generalsekretär des Europarats erklären, daß nur Kapitel I oder nur Kapitel II für sie verbindlich ist. Eine solche Notifikation wird sechs Monate nach ihrem Eingang wirksam.

 

(4) Die Bestimmungen des Kapitels I oder des Kapitels II gelten nur zwischen Vertragsparteien, für die das betreffende Kapitel verbindlich ist.

 

 

Artikel 6

 

(1) Dieses Protokoll liegt für die Mitgliedstaaten des Europarats, die das Übereinkommen unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung auf, sie können Vertragsparteien werden,

 

a) indem sie es ohne Vorbehalt der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnen,

 

b) indem sie es vorbehaltlich der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnen und später ratifizieren, annehmen oder genehmigen.

 

(2) Die Ratifikations-, -Annahme- oder Genehmigungsurkunden werden beim Generalsekretär des Europarats hinterlegt.

 

(3) Ein Mitgliedstaat des Europarats kann dieses Protokoll nicht ohne Vorbehalt der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnen und es nicht ratifizieren, annehmen oder genehmigen, wenn er nicht gleichzeitig oder früher das Übereinkommen ratifiziert oder angenommen hat.

 

 

Artikel 7

 

(1) Dieses Protokoll tritt drei Monate nach dem Tag in Kraft, an dem drei Mitgliedstaaten des Europarats nach Artikel 6 Vertragsparteien des Protokolls geworden sind.

 

(2) Für jeden Mitgliedstaat, der das Protokoll später ohne Vorbehalt der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung unterzeichnet oder der es ratifiziert, annimmt oder genehmigt, tritt es drei Monate nach der Unterzeichnung oder der Hinterlegung der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde in Kraft.

 

 

Artikel 8

 

(1) Nach Inkrafttreten dieses Protokolls kann jeder Staat, der dem Übereinkommen beigetreten ist oder zum Beitritt eingeladen worden ist, vom Ministerkomitee eingeladen werden, auch diesem Protokoll beizutreten.

 

(2) Der Beitritt erfolgt durch Hinterlegung einer Beitrittsurkunde beim Generalsekretär des Europarats; die Urkunde wird drei Monate nach ihrer Hinterlegung wirksam.

 

 

Artikel 9

 

(1) Jede Vertragspartei kann bei der Unterzeichnung oder bei der Hinterlegung ihrer Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde einzelne oder mehrere Hoheitsgebiete bezeichnen, auf die dieses Protokoll Anwendung findet.

 

(2) Jede Vertragspartei kann bei der Hinterlegung Ihrer Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde oder jederzeit danach durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Erklärung dieses Protokoll auf jedes weitere in der Erklärung bezeichnete Hoheitsgebiet erstrecken, dessen internationale Beziehungen sie wahrnimmt oder für das sie Vereinbarungen treffen kann.

 

(3) Jede nach Absatz 2 abgegebene Erklärung kann in bezug auf jedes darin genannte Hoheitsgebiet durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation zurückgenommen werden. Die Zurücknahme wird sechs Monate nach dem Eingang der Notifikation beim Generalsekretär des Europarats wirksam.

 

 

Artikel 10

 

(1) Jede Vertragspartei kann dieses Protokoll durch eine an den Generalsekretär des Europarats gerichtete Notifikation für sich kündigen.

 

(2) Die Kündigung wird sechs Monate nach dem Eingang der Notifikation beim Generalsekretär des Europarats wirksam.

 

(3) Die Kündigung des Übereinkommens hat automatisch die Kündigung dieses Protokolls zur Folge.

 

 

Artikel 11

 

Der Generalsekretär des Europarats notifiziert den Mitgliedstaaten des Rates und jedem Staat, der dem Übereinkommen beigetreten ist,

 

a) jede Unterzeichnung ohne Vorbehalt der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung;

b) jede Unterzeichnung vorbehaltlich der Ratifikation, Annahme oder Genehmigung;

c) jede Hinterlegung einer Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde;

d) jeden Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Protokolls nach seinem Artikel 7;

e) jede nach Artikel 4 eingegangene Notifikation;

f) jede nach Artikel 5 eingegangene Erklärung oder Notifikation;

g) jede nach Artikel 9 eingegangene Erklärung und jede Zurücknahme einer solchen Erklärung;

h) jede nach Artikel 10 eingegangene Notifikation und den Zeitpunkt, zu dem die Kündigung wirksam wird.

 

 

Zu Urkund dessen haben die hierzu gehörig befugten Unterzeichneten dieses Protokoll unterschrieben.

 

 

Geschehen zu Straßburg am 15. März 1978 in englischer und französischer Sprache, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist, in einer Urschrift, die im Archiv des Europarats hinterlegt wird. Der Generalsekretär des Europarats übermittelt allen Unterzeichnerstaaten und allen beitretenden Staaten beglaubigte Abschriften.


[1] Kapitel II ist kursiv gesetzt, um auf die fehlende Verbindlichkeit für die Bundesrepublik Deutschland hinzuweisen