veröffentlicht im Bundesgesetzblatt 1990 Teil II Nr. 15, Seite 358 ff., ausgegeben zu Bonn am 3. Mai 1990
Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen
Die Bundesrepublik Deutschland
und
die Republik Österreich
- von dem Wunsche geleitet, den gegenseitigen Amts- und Rechtshilfeverkehr in Verwaltungssachen weiter zu verbessern und zu vereinfachen -
sind wie folgt übereingekommen:
l. Abschnitt
Allgemeine Bestimmungen
(1) Die Vertragsstaaten leisten in öffentlich-rechtlichen Verfahren ihrer Verwaltungsbehörden, in österreichischen Verwaltungsstraf- und in deutschen Bußgeldverfahren, soweit sie nicht bei einer Justizbehörde anhängig sind, ferner in Verfahren vor den österreichischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit und den deutschen Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit nach Maßgabe dieses Vertrags Amts- und Rechtshilfe.
(2) Amts- und Rechtshilfe nach Absatz 1 wird nicht geleistet in
1. Abgabensachen, Zoll-, Verbrauchssteuer- und Monopolangelegenheiten, soweit sie in besonderen Verträgen geregelt sind;
2. Außenwirtschaftsangelegenheiten einschließlich devisenrechtlicher Angelegenheiten sowie hinsichtlich Verboten und Beschränkungen für den Warenverkehr über die Grenze;
3. Steuerberatungssachen und diesen gleichgestellten Angelegenheiten,
(3) Bestehende Vereinbarungen der Vertragsstaaten über die Leistung von Amts- und Rechtshilfe bleiben unberührt.
(1) Im Amts- und Rechtshilfeverkehr nach Artikel 1 Absatz 1 zwischen den Vertragsstaaten können die Verwaltungsbehörden und die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit unmittelbar miteinander verkehren. Soweit die Erledigung von Amts- und Rechtshilfeersuchen nach diesem Vertrag durch Strafgerichte vorzunehmen ist, ist auch mit diesen der unmittelbare Verkehr zulässig. Wenn der unmittelbare Verkehr nur unter besonderen Schwierigkeiten möglich ist, sind diejenigen Verwaltungsbehörden einzuschalten, die der ersuchte Staat hierfür bestimmt hat. Die Vertragsstaaten teilen einander diese Verwaltungsbehörden mit.
(2) Amts- und Rechtshilfeersuchen sind von der ersuchten Stelle (Verwaltungsbehörde oder Gericht), wenn diese für die Erledigung nach dem Recht des ersuchten Staates nicht zuständig ist, an die zuständige Stelle weiterzuleiten. Die ersuchende Stelle ist davon zu unterrichten.
Amts- und Rechtshilfe wird nach dem Recht des ersuchten Staates geleistet.
(1) Amts- und Rechtshilfe wird nicht geleistet, wenn sie nach dem Recht des ersuchten Staates unzulässig ist oder wenn die Erledigung des Ersuchens geeignet wäre, die Souveränität, die Sicherheit, die öffentliche Ordnung oder andere wesentliche Interessen des ersuchten Staates zu beeinträchtigen.
(2) Über die Ablehnung unterrichtet die ersuchte Stelle unverzüglich die ersuchende Stelle unter Angabe der Gründe.
II. Abschnitt
Anhörungen, Auskünfte und Beweise
(1) Die Vertragsstaaten leisten einander Amts- und Rechtshilfe durch
1. Ermittlungen einschließlich Beweisaufnahmen;
2. Anhörung Beteiligter und Vernehmung Betroffener/Beschuldigter;
3. Erteilung von Auskünften einschließlich solcher aus dem Strafregister;
4. Übersendung von Schriftstücken.
(2) Die Vertragsstaaten leisten einander ferner Amts- und Rechtshilfe durch die Erteilung von Auskünften und die Übersendung von Schriftstücken aus gerichtlichen Straf- und Bußgeldverfahren.
Ersuchen nach Artikel 5 müssen Gegenstand und Zweck des Verfahrens, in dem Amts- oder Rechtshilfe geleistet werden soll, bezeichnen und die zur Erledigung erforderlichen Angaben enthalten.
Der ersuchenden Stelle dürfen lediglich die Auslagen für Sachverständige und Dolmetscher, die bei der Erledigung des Ersuchens mitgewirkt haben, in Rechnung gestellt werden.
(1) Auskünfte und Schriftstücke, die von der ersuchten Stelle übermittelt werden, unterliegen im anderen Vertragsstaat den innerstaatlichen Vorschriften über die Amtsverschwiegenheit.
(2) Teilt die ersuchte Stelle mit, daß die von ihr übermittelten Auskünfte oder Schriftstücke nicht weitergegeben oder nur zu bestimmten Zwecken oder nur während eines bestimmten Zeitraums verwertet werden dürfen, so hat die ersuchende Stelle diese Beschränkungen zu beachten.
III. Abschnitt
Vollstreckungshilfe
(1) Die Vertragsstaaten leisten einander Amtshilfe durch Vollstreckung von öffentlich-rechtlichen Geldforderungen - einschließlich der in österreichischen verwaltungsbehördlichen Straferkenntnissen oder Strafverfügungen rechtskräftig verhängten Geldstrafen von mindestens dreihundertfünfzig Schilling und der von deutschen Verwaltungsbehörden rechtskräftig festgesetzten Geldbußen von mindestens fünfzig Deutsche Mark sowie der Nebenfolgen vermögensrechtlicher Art -, ferner bei der Einziehung von Urkunden, die vom ersuchenden Staat ausgestellt sind. Für die Vollstreckung gilt das Recht des ersuchten Staates. Freiheitsentzug als Strafmittel ist ausgeschlossen.
(2) Die Vertragsstaaten teilen einander mit, welche Stellen für die Erledigung von Ersuchen um Vollstreckung zuständig sind. Die Vertragsstaaten können auch Verwaltungsbehörden bestimmen, welche die Ersuchen um Vollstreckung entgegennehmen, um sie an die für die Erledigung zuständigen Stellen weiterzuleiten; soweit dies geschieht, teilen die Vertragsstaaten einander anstelle der Mitteilung nach Satz 1 diese Verwaltungsbehörden mit.
(3) Dem Ersuchen um Vollstreckung (Absatz 1) ist eine Ausfertigung des Vollstreckungstitels/Exekutionstitels oder des zu vollstreckenden Bescheides beizulegen, auf dem die Unanfechtbarkeit/Rechtskraft von der ersuchenden Behörde zu bestätigen ist. Solche Bescheide stehen hinsichtlich der Vollstreckung Bescheiden von Behörden des ersuchten Staates gleich.
(4) Die Vollstreckung von Geldforderungen wird in der Währung des ersuchten Staates durchgeführt. Die ersuchende Stelle rechnet den für sie zu vollstreckenden Geldbetrag in diese Währung um und vermerkt ihn auf dem zu vollstreckenden Titel. Für die Umrechnung maßgebend ist in der Republik Österreich der an der Wiener Börse zuletzt notierte Devisenankaufs(Geld)kurs für Zahlung Frankfurt und in der Bundesrepublik Deutschland der in Frankfurt am Main zuletzt festgestellte amtliche Devisenankaufskurs für Zahlung Wien.
(5) Über Einwendungen gegen die Zulässigkeit oder die Art der Vollstreckung entscheidet die zuständige Stelle des ersuchten Staates.
(6) Einwendungen gegen das Bestehen, die Höhe oder die Vollstreckbarkeit des zu vollstreckenden Anspruchs sind von der zuständigen Stelle des ersuchenden Staates nach dessen Recht zu erledigen. Werden solche Einwendungen bei der ersuchten Stelle erhoben, so sind sie der ersuchenden Stelle zu übermitteln, deren Entscheidung abzuwarten ist.
(7) Wenn der zu vollstreckende Geldbetrag außer Verhältnis zu den durch die Vollstreckung entstehenden Kosten steht, kann die ersuchte Stelle von der Vollstreckung absehen; sie hat davon die ersuchende Stelle zu unterrichten. Diese kann verlangen, die Vollstreckung dennoch vorzunehmen, wenn sie dies aus besonderen Gründen für erforderlich hält, hat dann jedoch die Kosten einer erfolglosen Vollstreckung zu tragen.
(8) Die ersuchte Stelle hat die von ihr eingenommenen Geldbeträge der ersuchenden Behörde zu überweisen. Ausgenommen sind Kosten, die nach dem Recht des ersuchten Staates zu erheben waren.
IV. Abschnitt
Zustellungen
(1) Schriftstücke in Verfahren nach Artikel 1 Absatz 1 werden unmittelbar durch die Post nach den für den Postverkehr zwischen den Vertragsstaaten geltenden Vorschriften übermittelt. Wird ein Zustellnachweis benötigt, ist das Schriftstück als eingeschriebener Brief mit den besonderen Versendungsformen "Eigenhändig" und "Rückschein" zu versenden. Kann eine Zustellung nicht unmittelbar durch die Post bewirkt werden oder ist dies nach Art und Inhalt des Schriftstücks nicht zweckmäßig, ist die zuständige Stelle im anderen Vertragsstaat um Vermittlung der Zustellung im Wege der Amts- und Rechtshilfe zu ersuchen. Die Vertragsstaaten teilen einander diese Stellen mit.
(2) Eine unmittelbare Zustellung durch die Post ist bei Bescheiden im Zusammenhang mit der Feststellung der Eignung Wehrpflichtiger zum Wehrdienst, bei Bescheiden, die eine Person zur militärischen Dienstleistung oder das im ersuchenden Staat gelegene Eigentum eines Angehörigen des anderen Vertragsstaats dauernd oder vorübergehend zu militärischen Zwecken heranziehen, sowie bei Bescheiden aufgrund des Abkommens/der Konvention vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge nicht zulässig.
(3) Die Zustellung von Bescheiden in Verwaltungsstrafverfahren an Angehörige des Staates, in dem die Zustellung vorgenommen werden soll, gilt hinsichtlich des Ausspruchs eines Freiheitsentzugs als nicht bewirkt.
Ersuchen, die auf Vornahme einer Zustellung gemäß Artikel 10 Absatz 1 Satz 3 gerichtet sind, sollen in denjenigen Fällen, in denen das Recht des ersuchten Staates die Wahl zwischen mehreren Zustellungsarten vorsieht, die Art der gewünschten Zustellung angeben; fehlt eine solche Angabe, steht die Wahl im Ermessen der ersuchten Stelle.
Die Stelle, die aufgrund eines Ersuchens gemäß Artikel 10 Absatz 1 Satz 3 eine Zustellung selbst oder durch die Post vorgenommen hat, übermittelt der ersuchenden Stelle ein von ihr ausgestelltes Zustellzeugnis oder eine vom Empfänger eigenhändig unterschriebene Bestätigung, die Ort und Tag des Empfangs erkennen lassen.
Ist der Empfänger unter der von der ersuchenden Stelle angegebenen Anschrift nicht zu erreichen und kann seine Anschrift nur unter unverhältnismäßigem Aufwand festgestellt werden, so sendet die ersuchte Stelle das Ersuchen wieder zurück.
V. Abschnitt
Besondere Regelungen in Angelegenheiten des Kraftfahrwesens
(1) Ein im anderen Vertragsstaat ausgestellter Führerschein wird dem Inhaber gegen Empfangsbestätigung abgenommen, wenn
1. der andere Vertragsstaat um die Vollstreckung einer Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis/Lenkerberechtigung ersucht;
2. der andere Vertragsstaat um Übermittlung des Führerscheins zum Zwecke der Vornahme von behördlichen Eintragungen ersucht;
3. auf seiner Grundlage eine Fahrerlaubnis/Lenkerberechtigung auf Antrag erteilt wird; der im anderen Vertragsstaat ausgestellte Führerschein darf nur gegen Ablieferung des auf seiner Grundlage ausgestellten wieder ausgehändigt werden;
4. das Recht, den Führerschein zu verwenden, aberkannt wird.
(2) Abgenommene Führerscheine werden in den Fällen des Absatzes 1 Nummern 1 und 2 der ersuchenden Behörde, sonst der Ausstellungsbehörde übermittelt; der Betroffene kann jedoch in den Fällen des Absatzes 1 Nummern 3 und 4 die Verwahrung bei einer anderen Behörde beantragen.
(1) Der Fahrzeugschein/Zulassungsschein und die amtlichen Kennzeichen/Kennzeichentafeln eines im anderen Vertragsstaat zugelassenen Fahrzeugs werden dem Inhaber gegen Empfangsbestätigung abgenommen und der Behörde, die den Fahrzeugschein/Zulassungsschein ausgestellt hat, übermittelt, wenn
1. der andere Vertragsstaat um die Vollstreckung einer Entscheidung über die Untersagung des Betriebs/Aufhebung der Zulassung des Fahrzeugs ersucht;
2. es sich erweist, daß bei einer befristeten Zulassung die Frist abgelaufen ist;
3. es sich erweist, daß bei weiterer Verwendung des Fahrzeugs die Verkehrs- oder Betriebssicherheit wegen schwerer technischer Mängel gefährdet würde, und die Mängel des Fahrzeugs nicht innerhalb einer von der einschreitenden Behörde gesetzten angemessenen Frist behoben werden;
4. das Fahrzeug zugelassen wird; in diesem Fall wird das Fahrzeug im anderen Vertragsstaat als abgemeldet behandelt.
(2) Im Falle des Absatzes 1 Nummern 2 und 3 wird dem anderen Vertragsstaat eine kurze Sachverhaltsdarstellung, im Falle des Absatzes 1 Nummer 4 Name und Anschrift des nunmehrigen Halters/Zulassungsbesitzers sowie das neue Kennzeichen mitgeteilt.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für Fahrzeuge mit Kennzeichen für Prüfungs-/ Probefahrten, für Überführungs-/Überstellungsfahrten sowie für Fahrzeuge mit Zollkennzeichen.
VI. Abschnitt
Schlußbestimmungen
(1) Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung oder die Anwendung dieses Vertrags sollen durch die Regierungen der Vertragsstaaten beigelegt werden.
(2) Kann eine Meinungsverschiedenheit auf diese Weise nicht innerhalb von sechs Monaten beigelegt werden, so ist sie auf Verlangen eines Vertragsstaats einem Schiedsgericht zu unterbreiten.
(3) Das Schiedsgericht wird von Fall zu Fall gebildet, indem jeder Vertragsstaat ein Mitglied bestellt und sich beide Mitglieder auf den Angehörigen eines dritten Staates als Vorsitzenden einigen, der von den Regierungen der Vertragsstaaten zu bestellen ist. Die Mitglieder sind innerhalb von zwei Monaten, der Vorsitzende innerhalb von drei Monaten zu bestellen, nachdem der eine Vertragsstaat dem anderen mitgeteilt hat, daß er die Meinungsverschiedenheit einem Schiedsgericht unterbreiten will.
(4) Werden die in Absatz 3 genannten Fristen nicht eingehalten, so kann in Ermangelung einer anderen Vereinbarung jeder Vertragsstaat den Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bitten, die erforderlichen Ernennungen vorzunehmen. Für den Fall, daß der Präsident des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die österreichische oder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, gehen die ihm durch diesen Artikel übertragenen Punktionen auf den Vizepräsidenten des Gerichtshofs, danach auf den ranghöchsten Richter des Gerichtshofs über, auf den dieser Umstand nicht zutrifft.
(5) Das Schiedsgericht entscheidet mit Stimmenmehrheit aufgrund der zwischen den Vertragsstaaten bestehenden Verträge und des allgemeinen Völkerrechts. Seine Entscheidungen sind bindend. Jeder Vertragsstaat trägt die Kosten des von ihm bestellten Schiedsrichters und seiner Vertretung in dem Verfahren vor dem Schiedsgericht; die Kosten des Vorsitzenden und die sonstigen Kosten werden von den Vertragsstaaten zu gleichen Teilen getragen. Im übrigen regelt das Schiedsgericht sein Verfahren selbst.
(6) Die Gerichte der beiden Vertragsstaaten werden dem Schiedsgericht auf sein Ersuchen Rechtshilfe hinsichtlich der Ladung und der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen in entsprechender Anwendung der zwischen den beiden Vertragsstaaten jeweils geltenden Vereinbarungen über die Rechtshilfe in Zivil- und Handelssachen leisten.
Artikel 9 ist nicht auf Geldstrafen oder Geldbußen anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten dieses Vertrags verhängt oder festgesetzt worden sind.
Wer Angehöriger eines Vertragsstaats im Sinne des Vertrags ist, bestimmt sich nach dem Recht dieses Vertragsstaats.
Dieser Vertrag gilt auch für das Land Berlin, sofern nicht die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Bundesregierung der Republik Österreich innerhalb von drei Monaten nach Inkrafttreten des Vertrags eine gegenteilige Erklärung abgibt.
(1) Der Vertrag bedarf der Ratifikation; die Ratifikationsurkunden werden so bald wie möglich in Wien ausgetauscht.
(2) Dieser Vertrag tritt am ersten Tag des dritten Kalendermonats nach Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.
(3) Dieser Vertrag kann jederzeit schriftlich auf diplomatischem Wege gekündigt werden; er tritt sechs Monate nach Eingang der Kündigung außer Kraft. Im Zeitpunkt des Außerkrafttretens dieses Vertrags bestehende Ersuchen sind nach den Bestimmungen dieses Vertrags durchzuführen.
Geschehen zu Bonn am 31. Mai 1988 in zwei Urschriften.
Für die Bundesrepublik Deutschland Dr. Lautenschlager
Für die Republik Österreich Dr. Bauer |